Gibt es eine Whisky-Klassengesellschaft?

Standard- und Premium-Whiskyhersteller

Unter den Whiskygenießern verbreitet sich langsam das Wissen, dass es bei der Herstellung von schottischen Single Malt Whiskys erhebliche, technische Unterschiede zwischen den Brennereien gibt. Das verstärkte Auftreten von nachgereiften Malts und Flaschen ohne Altersangabe führt bei manchem Puristen zum Gefühl, übervorteilt zu werden.

Ein Zuseher in unserem Videoblog äußerte die folgende Idee, die er im Internet gefunden hatte. Danach sollten Single Malts Scotch Whiskys in zwei Kategorien Standard und Premium eingeteilt werden. Wobei Premium bedeutete:

  1. direkt befeuerte Stills
  2. keine Kühlfiltration
  3. keine Färbung
  4. Lagerung in Dunnage Warehouses
  5. Abfüllung immer mit Altersangabe
  6. keine Spielereien mit mehreren Fässern (ein Fass für die ganze Lagerung)
  7. Kühlung über Worm Tubs

Auf den ersten Blick erscheinen diese Anforderungen schlüssig. Doch aus meiner 30-jährigen Whiskygenusserfahrung kann ich nur einem einzigen dieser Punkte vorbehaltlos zustimmen. Der Färbung. Jeder Whisky, bei dem es notwendig ist die Farbe bewusst zu verändern, kann kein Premium Whisky sein. Dennoch sind manche herausragende Whiskys, mit den besten Bewertungen durch unsere Shop-Kunden, gefärbt. Die Brennereien geben an, dass diese Färbung dazu dient, die natürlichen Unterschiede zwischen den Chargen auszugleichen. Ein wahrer Premiumwhisky hat eine Anpassung der Farbe aber nicht nötig. Es würde bei einer echten Premiumqualität trotz Farbunterschieden zu keinen Reklamationen kommen. Dennoch könnten Einsteiger in die Materie irritiert werden. Hier helfe Aufklärung auf dem Etikett. Doch die Hersteller sind wohl selbst noch nicht soweit.

Direkt befeuerte Stills sind aus meiner Sicht kein Qualitätsmerkmal. In der Vergangenheit kam es öfter durch die schlechte Regelungsmöglichkeit eines offenen Feuers zum Überkochen des Washs und zum Anbrennen der festen Teilchen aus der Flüssigkeit an der Wand der Pot Still. Dies führte zu schlechteren Qualitäten. Mit der Zeit entwickelte man technische Gegenmaßnahmen, um diese Probleme zu beherrschen. Eine ist die kreisende Bewegung einer Kupferkette im Inneren der Washstill. Sie kratzt anbackende Teilchen von den Wänden der Brennblasen wieder ab. Aus diesem Grund macht man die Wände der direkt befeuerten Brennblasen auch doppelt so stark wie die der indirekt mit Heißdampfzylindern oder -spiralen beheizten Pot Stills. Mit der Zeit geht das Kupfer der Stillwand und der Kette verloren. Es landet zumindest zum Teil im Whisky. Es stellt sich die Frage, ob dieses Kupfer gut, schlecht oder neutral zu bewerten ist.

Im selben Umfeld ist auch der letzte Punkt in der Liste mit der Kühlung über Worm Tubs zu sehen. Worm Tubs sind große, hölzerne Tonnen, die von Kühlwasser durchflossen werden. In diesen Worm Tubs befinden sich Kupferspiralen, die einen innigen Kontakt der Alkohol- und Wasserdämpfe nebst Begleitstoffen mit dem Kupfer während der Kondensation ermöglichen. Kupfer dient in diesem Fall als Katalysator. Hier finden katalytische Umwandlungen im Whisky statt. Jede Brennerei, die im 18. und 19. Jahrhundert gebaut wurde verwendete die Technologie, die zu der damaligen Zeit der Stand der Technik war. So gibt es eine Gruppe an Brennereien, die weder Worm Tubs noch modernste industrielle Gegenstromkondensatoren verwenden. Diese in viktorianischer Zeit erbauten Brennereien wie z.B. Cragganmore oder Knockdhu verwenden gusseiserne, oben offene Wasserbecken, in denen sich gebogene, verschraubte Rohre zur Kühlung befinden. Auch hier stellt sich wie bei den direkt befeuerten Pot Stills die Frage, ob dieser besonders innige Kontakt mit Kupfer als Premium oder einfach nur als die Besonderheit einer Brennerei zu sehen ist.

Die Frage nach der Kältefiltration wurde schon oft besprochen. Deshalb haben wir im The Whisky Store eine wissenschaftliche Untersuchung über die Einflüsse der Kältefiltration auf die Qualität des Whiskys durchgeführt. Die über 100 sehr erfahrenen Tester haben in der mit über 1.000 Proben durchgeführten Blindverkostung eine gegenläufige Tendenz feststellen können. Meist sind kühlgefilterte und nicht kühlgefilterte Whiskys qualitativ gleichwertig. Es gibt jedoch eine Gruppe an Whiskys, bei denen schmeckt der kühlgefilterte Whisky besser als der nicht kühlgefilterte. Niemals konnte jedoch in der Studie festgestellt werden, dass ein nicht kühlgefilterter Whisky besser als ein kühlgefilterter schmecken würde.

Die Lagerung in klassischen Dunnage Warehouses mit gestampftem Naturboden oder modernen Lagerhäusern mit Betonboden sehe ich nicht als bedeutend an. Ebenso, und hier gehe ich ein Stück weiter, ist es weitgehend egal, wo ein Fass in Schottland reift. Ob bei der Brennerei auf einer Insel oder 50 km entfernt auf dem schottischen Festland. Alle Lagerhäuser sind in Schottland belüftet, um Schimmel und Fäulnis keine Angriffsfläche zu bieten. Damit streicht der Wind durch die Lagerhäuser und sorgt für einen ständigen Luftaustausch. Und da der Wind die Luft vom Atlantik ohne große Änderungen über die Inseln aufs Festland und weiter über die Nordsee bläst, ist es fast egal, wo die Lagerhäuser stehen. Der Whisky wird in der gleichen Luft das gleiche Reifeergebnis erzielen. Es gibt aber ein paar Besonderheiten. So muss darauf geachtet werden, dass man räumlich verbrachten Whisky in etwa gleicher Höhe über dem Meer lagert. Denn oben in den Highlands herrschen wegen der größeren Höhe über dem Meer andere Luftdrücke, Luftfeuchtigkeiten und Temperaturen. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen Dunnage Warehouse und modernem Lagerhaus, der auf die Reifung einen wichtigen Einfluss hat. Im modernen Lagerhaus werden die Fässer deutlich höher gestapelt und ganz oben unter dem Dach kommt es zu einem abweichenden Mikroklima. Die Fässer werden im Sommer heißer und die Verdunstungsrate ändert sich. Ob dies zu einem besseren oder schlechteren Whisky führt, kann man nicht pauschal sagen.

Die Abfüllung mit Altersangabe kann keinen Einfluss auf die Qualität eines Whiskys haben. Es ist ja nur eine Kennzeichnung. Damit ist es egal, ob diese Angabe auf einer Flasche steht oder nicht.

Der letzte verbleibende Punkt über die alleinige Verwendung eines einzelnen Fasses für die Reifung eines Whisky stößt mir am wenigsten zielführend auf. Dieser Punkt bedeutet nichts anderes, als dass keine Umfüllung während der Reifung stattfinden sollte. Whisky ist eine braune Spirituose. D.h. unser Whisky wird nur vom Getreidedestillat zum Whisky, wenn er in Eichenfässern reift. Jedes Eichenfass ist ein Naturprodukt und fällt damit anders aus. Beschränkt man sich auf ein einzelnes Fass, so verliert man an Komplexität im Einzelfass. Das lässt sich natürlich durch spätere Mischung bei der Abfüllung mit anderen Fässern ausgleichen und so Komplexität erzielen.

Dennoch hat der Verzicht auf Umfüllungen Nachteile im Geschmack. Lagerungen über 15 oder 18 Jahre in einem Fass kann zur Extraktion deutlicher Bitterstoffe (Tannine) aus der Fasswand führen. Diese bitteren Stoffe sind bei einem großen Teil der Genießer nicht erwünscht. Bittere Stoffe schmeckt der Mensch jedoch auch in kleinsten Dosierungen. Das war in unserer evolutionären Entwicklung erforderlich, weil bittere Stoffe in der Natur meist giftig waren. Durch diese niedrige Erkennungsschwelle kann ein Vermischen eines bitteren Fasses mit anderen Fässern kaum Abhilfe schaffen. Um durch längere Lagerzeit mehr Aromen und dennoch keine Bitterkeit in den Whisky zu bringen, ist Nachreifung zwingend erforderlich. Nachreifung bzw. Umfüllung ist dabei keine Entwicklung der heutigen Zeit. Schon James Allardice, der Gründer von Glendronach im Jahr 1826, war für seine Nachreifungen bekannt.

In Summe stellt sich für mich die anfangs aufgeführte Liste als nicht zweckdienlich für die Einschätzung von Premium Whisky dar. Es kommt mir vielmehr so vor, als ob mit dieser Liste ein Brennerei-Zustand von vor rund 100 bis 150 Jahren als erstrebenswert festgeschrieben werden soll. Warum diese Zeit? Warum nicht 100 Jahre früher oder später? Whisky hat sich im Laufe der Jahrhunderte der modernen Technik angepasst aber auch anderes herum wurde die moderne Technik ebenfalls dazu verwendet, Whisky dem Geschmack der Genießer anzupassen. Nicht umsonst zeigt Whisky einen mehr als 500 Jahre andauernden globalen Siegeszug. Bestes Anzeichen dafür, dass Whisky in der Vergangenheit zu einem bestimmten Produktionszeitpunkt nicht unbedingt besser war als heute.

Sicher, Scotch Whisky haftet der Ruf von Schottenrock und Burgruine an. Doch genauso wie der Bayer seinen Laptop in Lederhosen bedient, so hat sich der Schotte in einem immer währenden Anpassungsprozess die jeweils modernste Technik zu Nutze gemacht, um Whisky weiter und weiter zu verbessern. Über allem steht dabei gleichbleibende Qualität, wie sie in der Vergangenheit nicht üblich war: Zu oft verwendete Fässer, schimmeliges Getreide, essigsaures Wash, angebackene Reste an der Pot Still Wand, übergekochtes Wash, faulige Lagerhäuser, usw.

Bei Beibehalten der Traditionen experimentiert der Schotte weiter, um seinen Whisky noch angenehmer für die Genießer zu machen. Dass dabei auch mal ein nachgereifter Whisky in einem Herings- oder Colafass dabei heraus kommt ist nicht zu verhindern. Doch langfristig haben es die Schotten schon immer verstanden, eine vernünftige Balance zwischen Modernität und Tradition zu finden.

'Alt gleich gut' stimmt selten. Nicht umsonst gibt es das geflügelte Wort von der Guten Alten Zeit, in der alles schlechter war.